Bericht und Fotos vom Open Air
Immer in den ersten Augustwochenenden fällt eine schwarze Horde Menschen in einem kleinen Ort ein. Dieser Ort, auch Hildesheim genannt, wird dann zum Familientreffen der schwarzen Szene. Auch wenn es sich 2022, wie alle Jubeljahre, mit dem Wacken Open Air überschneidet, konnte das M’era Luna wieder fast ausverkauft melden. Knapp 25.000 schwarze Seelen versammelten sich über das Wochenende, um nach dem Coronastillstand wieder ausgelassen zu feiern. Auch wenn dies am Freitag aufgrund des Regens und Anfahrtstau noch etwas ruppig startete, konnte ein Großteil der Besucher die Zelte recht trocken aufbauen. Aufgrund baulicher Veränderungen musste das Gelände auch neu gestaltet werden, was aber insbesondere mit der neuen Außenbühne recht gut gelungen ist.
Das Festival startet am Abend quasi mit perfektem Wetter. Als ersten Programmpunkt laufen etliche Goten nach der ersten Grundschminke auch gleich die Lesungen im Hangar an. Hier sorgen ISA THEOBALD, MARKUS HEITZ und LYDIA BENECKE für eine proppenvolle Location. Wem weniger nach Kultur ist, bewegt sich auch schon mal auf den Mittelaltermarkt, wo PESTILENZIA und die folgende Feuer-Show bereits für heitere Stimmung sorgt. Alternativ folgt später noch das Rahmenprogramm im Discohangar oder auf etlichen Minidancefloors auf dem Gelände (zum Beispiel im geheimen Popo Club). Je nachdem, wie lange man durchhält, trifft man noch auf etliche Elfen, Kobolde, leuchtende Menschen, tanzende Menschen, und kann die kalte Nacht bis zum ersten Sonnenschein überbrücken.
Samstag 06.08.2022
Nach einer kalten Nacht und bei – noch – angenehmen Temperaturen eröffnen musikalisch ENEMY INSIDE das M’era Luna. Ganz in Weiß lassen sie die Gitarren aufheulen und einen Weckruf über das Gelände schallen. Für viele ist das aber gar nicht nötig. Das Infield ist sehr voll – das angenehme Wetter hat wohl gut schlafen lassen.
Heiß auf mehr ist die Menge bei RAVE THE REQVIEM, die aber leider massive technische Probleme haben und erst mit 15 Minuten Verspätung anfangen können. Kurz entschuldigt lassen sie es aber direkt krachen. Leider ziehen sich die technischen Probleme auch durch den Auftritt weiter. Die neue Clubstage haben derweil ADAM IS A GIRL und AMBASSADOR 21 eingeweiht. Hier ist der stickige Hangar auf eine Open Air-Bühne ausgewichen. Gut für die Luftqualität, schlecht für die Licht-Show. Auf der Mainstage bieten uns QNTAL derweil ihre Neuinterpretationen von mittelalterlichen Stücken in mystischem Latein, Alt-Englisch und Mittelhochdeutsch an, das Ganze gepaart mit elektronischen Klängen.
Grüner Rauch steigt auf. Ein Knall ertönt, und erschreckte Laute sind aus dem Publikum zu hören, danach Entwarnung. Der Bass dröhnt aus den Boxen, und SCHATTENMANN ist auf der Bühne hinter Rauchschwaden aufgetaucht und lässt es ordentlich fackeln. Die Menge ist trotz der Hitze hellauf begeistert und feiert mit zum Spruch „Diese Welt braucht ein bisschen mehr Liebe, ein bisschen mehr Sex! Darum lasst uns, lieben M’era Luna!“. Zum Schluss wird mit ‘Amok’ einmal richtig aufgedreht. Im Herbst sind sie noch mit Eisbrecher unterwegs, bevor sie 2023 ganz auf sich gestellt losziehen.
Albern mit Albers
Mit OST+FRONT geht es auf der Mainstage heiß weiter. Unter dem Hämmern der Gitarren wird zu ‘Geld Geld Geld’ oder ‘Schlag mich’ geheadbangt – auch das macht man auf dem M’era Luna. Wer vor lauter Gewackel nichts sieht, kriegt auf der Bühne immer wieder das Schauspiel zwischen Hermann Ostfront und Eva Edelweiß mit. Rehydrierung ist wichtig! Und wo andere mit viel Wasser oder Bier arbeiten, werden bei OST+FRONT die Transfusionsbeutel ausgepackt und mit roten Flüssigkeiten nachgeholfen.
Mit einer ausgereiften Multimedia-Show machen derweil TYSKE LUDDER die Club-Stage unsicher. Mit vielen teilweise humorvollen Ansagen lockert Sänger Claus Albers die Show gelungen auf. Also wird weiter getanzt, frei nach dem Motto: „Seid ihr gut drauf oder seid ihr alt?“
MEGAHERZ sind leider kurzfristig ausgefallen, dafür sind LACRIMAS PROFUNDERE eingesprungen. Zielsicher wird das M’era Luna von der einzigen Person begrüßt, die nicht aus Deutschland kommt. Dafür freut sie sich umso mehr, heute hier sein zu können. In der prallen Sonne steigt die Band in ihr Set und macht heiß auf ihre Tour im September. Dabei reißen sie auch eine extrem motivierte Bühnen-Show ab und beweisen, dass der Sänger als Vampir bereits fliegen kann.
Als Nächstes erwarten uns das LORD OF THE LOST ENSEMBLE. Hier wird Chris Harms nicht wie gewohnt von E-Gitarre und Keyboard begleitet, sondern musikalisch von Streicher, Piano und Drums. Aber nicht nur musikalisch zeigen sich LORD OF THE LOST klassisch, auch optisch haben sie sich mit Anzug und Hemd in eine klassische Schale geworfen. Trotz des klassischen Gewands ist aber ordentlich Power hinter der Musik, und so können sowohl die Feierwütigen in den ersten Reihen als auch die vielen Goths, die sich ein gemütliches Plätzchen im Schatten oder auf der Picknickdecke gesucht haben, locker mitschwofen.
Der Gothic-Helene
Auf der Clubstage geht die Elektro Dance Party derweil mit FADERHEAD. Wobei sie auch ein Duett im Gepäck haben, Alexander Wesselsky von Eisbrecher unterstützt bei ‘No Gods, No Flags, No Bullshit’. THE MISSION von den ehemaligen THE SISTERS OF MERCY-Gitarristen Wayne Hussey und Craig Adams lassen mit ihrem Gothic Rock den Nachmittag hinter sich und leiten den Abend ein. Entspannt wird sich unterhalten oder für das leibliche Wohl gesorgt. Parallel geht es aber auch auf der Fashion Show hoch her, diese ist mittlerweile seit etlichen Jahren ein fester Bestandteil im Festival-Programm.
Begleitet von seinen zauberhaften Begleitungen spaltet Chris Pohl mit BLUTENGEL die Szene. Die eine Hälfte liebt die poppigen dunklen Beats, die andere verschreit ihn als den Helene Fischer der Gothic-Szene. So oder so: Er kann die Massen begeistern (bestimmt eine Beat-Hypnose) mit seinem Mix aus düsteren, eindringlichen Tracks, künstlerischer Bühnen-Show und jeder Menge Humor. Unser dunkles Metallerherz ist dabei auch nicht zu Staub zerfallen.
Auf der Clubstage lassen IN STRICT CONFIDENCE die Neunziger aufleben und überraschen die Gäste mit Songs, die älter sind als ein großer Teil der Besucher. Zu NITZER EBB ist es zuerst sehr leer vor der Bühne. Dafür herrscht reges Treiben vor dem Infield. Viele flitzen kurz in Richtung Camp, um die Kleidung umzustellen, von praller Sommersonne auf lauen Sommerabend, aber nach ihrer Rückkehr steigen sie im Sonnenuntergang in die Party vor der Bühne ein.
Kind zweier Welten
Im Nebel versunken – das ist normalerweise bei COVENANT auf der Clubstage Programm. Heute gelingt aber ausnahmsweise der Spagat, und so bekommen wir ein erstklassiges Spiel zwischen Licht und Schatten vor einer Nebelkulisse, untermalt von einem Future Pop-Klangteppich. Das große Finale für heute Abend sind THE LITTLE BIG MEN, unterstützt von ASP. Gestern erst auf dem Wacken unterwegs, sind sie heute schon auf dem M’era Luna. Als Kind zweier Welten – nicht Metal genug für das Wacken, nicht Gothic genug fürs M’era Luna – fühlen sie sich aber dennoch auf beiden Festivals wohl.
Mit viel Vorfreude eröffnet sie dann mit der neuesten Single und der allseits bekannten und geliebten Ansage „Ihr schönen Menschen hier auf dem M’era Luna“. Die komplette Live-Pause während Corona ist kaum zu spüren, und so begeistern ASP auch wie zuvor das Publikum von Anfang bis Ende. Bis sie an THE LITTLE BIG MEN übergeben – der besten ASP-Coverband aller Zeiten, die heute ihren letzten Auftritt hat. Natürlich hauen sie die größten Klassiker und All-time-Favorites raus. Ein würdiger Abschluss für THE LITTLE BIG MEN und den M’era Luna-Samstag. Die folgenden Stunden verschwimmen wieder im Hangar, auf dem Gelände oder dem Mittelaltermarkt.
Sonntag 07.08.2022
Den Sonntag eröffnen HELL BOULEVARD, die genauso wie einige Besucher normalerweise so früh am Tag gerade erst aufstehen würden oder noch mit schminken beschäftigt sind; das Pandagesicht muss ja immer sitzen. Das ändert nichts daran, dass sie voll in die Tasten hauen und der für einen M’era Luna Sonntag unverhältnismäßig großen Menge direkt Feuer unterm Hintern machen.
Mit THEN COMES SILENCE haben endlich auch die E-Gitarren ihren richtigen Einzug auf der Clubstage und schreddern erst mal in die Saiten. Auch UNZUCHT schreddern auf der Mainstage richtig rein. Nach zwei abgesagten Festival-Terminen freuen sie sich doppelt, endlich wieder auf den großen Bühnen stehen zu können. Auf dem WGT und dem Rockharz war Sänger Daniel Schulz Schlagzeuger Toby Fuhrmann ausgefallen. Das erste Mal hat der Sänger seine spanische Familie auf einem Live-Auftritt dabei: Wie feiert man so etwas gebührend? Richtig: Crowdsurfen! Als einziger Crowdsurfer des Festivals – für Metalheads unverständlich, aber auf dem M’era Luna ist das für Besucher vollständig verboten.
Unzüchtig sind übrigens auch viele Essenspreise, wahrscheinlich muss man sich erst noch daran gewöhnen, aber schlucken mussten so einige Besucher, da es auch gefühlt an erschwinglicher Grundversorgung mangelte. Immerhin waren die Schlangen trotz personeller Unterbesetzung überall noch im guten Rahmen.
Mit Gitarre geht es auch auf der Clubstage weiter. Mit A LIFE DIVIDED präsentiert sich das Nebenprojekt von EISBRECHER Gitarrist Jürgen Plangger. Das Publikum ist voll dabei und genießt die Möglichkeit, sich nicht zwischen guter Sicht und Schatten entscheiden zu müssen. Band-Kollege Alex Wesselsky lässt es sich nicht entgehen, aus der 0. Reihe den Gig zu genießen.
Feuersäulen in glühender Sonne
Auf der Mainstage wird es derweil ruhiger mit THE BEAUTY OF GEMINA. Die Schweizer waren zum ersten Mal 2011 auf dem M’era Luna und freuen sich darüber, heute bei bestem Festival-Wetter spielen zu können. Auf der Clubstage geht es wieder weg von der E-Gitarre, und SOMAN rufen eine schwarze Technoparty aus.
Feuer, Met und Miezen, das sind FEUERSCHWANZ! Mit ihrem Versprechen einer Mittelalter-Party haben sie den Markt vor dem Infield wie leergespült hinterlassen und feiern eine fette Party in der glühenden Sonne. Wobei nicht nur die Sonne und Musik den Fans ordentlich einheizt, immer wieder steigen auch Feuersäulen in den Nachmittagshimmel, was selbst die Band etwas überrascht, die einige Haare verliert. Aber nicht nur die eigenen Songs werden gespielt, sondern es wird auch gecovert, was der Humor her gibt. So hören wir den O-Zone-Klassiker ‘Dragostea Din Tei’ und den Manowar-Song schlechthin ‘Warriors Of The World’.
Auch der Sonntag bleibt von Ausfällen nicht verschont. So müssen genauso wie MEGAHERZ gestern für heute THE CASSANDRA COMPLEX kurzfristig absagen, aber auch hier wurde für schnellen Ersatz gesorgt. PRIEST aus Stockholm biegen als Alternativprogramm für Synthie Pop an.
Tränen
Für mehr Hass und Gewalt sorgen nun COMBICHRIST auf der Main-Stage, gnadenlos wird die Bühne Stück für Stück zerlegt. Andy LaPlegua kann mit dem Versprechen von Aggrotech trotz fiesester Nachmittagssonne eine gewaltige Menge vor die Bühne locken. Kein Wunder, hat man doch vermehrt die Fans in COMBICHRIST-Merch über den Platz laufen sehen. Als dann sogar kurz auch noch die Wolken den Himmel verdunkeln, kann man ein Aufatmen wahrnehmen. Während es auf der Mainstage gleich eher ruhig wird, wird an der Clubstage weitergetanzt zu den Synth-Klängen von DIORAMA.
VNV NATION, dieser Name allein kann schon ohne Weiteres ein M’era Luna zum Brechen füllen. Heute gibt es aber den wilden Iren Ronan Harris in ganz zahm. Begleitet von der Philharmonie Leipzig hat er das Publikum und sich selbst immer wieder eine Träne abgerungen, die Stimmung auf dem ganzen Platz ist gespannt und leicht episch. Besonders ‘Nova’ und ‘Illusion’ gehen jedem wie ein Schauer in den Körper.
Deutlich wilder wird es wieder zu SCHANDMAUL, die mit einem Song nach dem anderen mit der Menge eine Party feiern. Obwohl VNV Nation zuvor schon stark vorgelegt haben und eine Old School-Balladenstimmung im Sonnenlicht echt schwierig ist- nicht mal die fiesen Handy-Taschenlampen haben eine Chance – lassen sie es sich nicht nehmen, ‘Dein Anblick’ zu spielen, bevor wieder in der Gitarre gegriffen wird für ‘Knüppel aus dem Sack’, ‘Bunt und nicht Braun’ oder ‘Walpurgisnacht’. Direkt im Anschluss lässt das M’era Luna den Tanzdiktator auf die Menge los. Mit NACHTMAHR gibt es harte Beats und Electro zum Tanzen an der Clubstage.
Gebrochenes Eis
Währenddessen haben sich THE SISTERS OF MERCY auf der Mainstage eingefunden. Nach dem Debakel von 2016 – dort waren sie eher The Sisters Of Fog – sind die Briten heute klar zu erkennen. Intern munkelt man auch eher, dass der Nebel einfach zu teuer geworden ist. Als Wegbereiter des Gothic Rock können sie sich durchaus einer großen Beliebtheit erfreuen. Wobei man aber deutlich erkennt, dass die jüngere Generation eher drüben beim Tanzdiktator verbeibt. FRONT LINE ASSEMBLY bilden als EBM-Urgestein den Abschluss für die Clubstage. Electro-Liebhaber werden ein letztes Mal zum Tanz aufgefordert. Mittlerweile hat sich die Sonne so weit gesenkt, dass es fast schon kühl ist.
Den Abschluss des M’era Luna Festivals 2022 macht die mittlerweile wohl zweiterfolgreichste NDH-Band Deutschlands: EISBRECHER hämmern die M’era Luna-Besucher vom Platz. Fast jeder, doch noch irgendwie auf dem Gelände ist, schart sich an die Mainstage. Von ihrem ersten M’era Luna 2016 auf einem Nachmittags-Slot haben sie es innerhalb kürzester Zeit geschafft, sich auf die Headliner-Position hochzuschwingen, und damals wie heute kann Frontmann Alexander Wesselsky die Menge begeistern. Also stürzen sich die Nachzügler FRONT LINE ASSEMBLY auch in die Menge.
Und dann Stille. Nach zwei Tagen Bands neigt sich das M’era Luna 2022 zu Ende, zurück bleibt manch eine Träne aufgrund der vielen schönen Momente in den letzten drei Tagen. Viele machen sich jetzt schon auf den Weg nach Hause – das Zelt wurde im Verlauf des Nachmittags schon weggepackt und die Hinterbliebenen lassen die letzte Nacht des friedlichen M’era Luna auf dem Flugfeld ausklingen.
Lars Tobias Lorbeer, Birger Treimer
Quelle: METAL HAMMER.de