Göteborg-Special mit At The Gates

Anlässlich des Todes von Tomas „Tompa“ Lindberg (At The Gates) veröffentlichen wir das Göteborg-Special aus METAL HAMMER 12/2014 hier in Auszügen. Wir begleiten Tomas Lindberg durch seine Heimatstadt.

Tomas Lindberg verstarb am 16.9.2025.

Dem Tod auf der Spur: Göteborg-Special aus METAL HAMMER 12/2014

AT THE GATES gelten nicht umsonst bis heute als Speerspitze des berühmt-berüchtigten Göteborg-Stils, der dem Death Metal ordentliche Melodien beigebracht hat. Berühmt ob der Vielzahl an tollen Bands, die Schwedens zweitgrößte Stadt hervorgebracht hat, berüchtigt für die weltweiten Klone, die selten mit Qualität punkten können. Zum neuen At The Gates-Album AT WAR WITH REALITY haben wir TOMAS „TOMPA“ LINDBERG bereits für die letzte Ausgabe interviewt, aber einer Einladung zu einer exklusiven, ungezwungenen Stadtführung abseits üblicher Protokolle wollte METAL HAMMER gerne folgen.

Inmitten üppiger Wälder, wo sich die Elche eine gute Nacht wünschen, liegt der Göteborger Flughafen Landvetter, von dem aus man innerhalb einer knappen halben Stunde die Stadt erreicht. Göteborg lässt sich nicht lange bitten, die typischen Schwedenklischees zu bedienen: wechselhaftes Wetter, bei dem sich ein fies-nasses Grau dank starker Winde von der See her in Minutenschnelle mit sonnigen Abschnitten abwechseln kann. Jede Menge Volvos (in Göteborg befi ndet sich die Zentrale) und ebenso viele gut aussehende Frauen, bevorzugt blond (in Schweden befindet sich ein Nest). Dazu gibt es qualitativ hochwertigen Metal jeglicher Couleur. Paradiesische Zustände also – wenn nur das Bier nicht so verdammt teuer wäre.

Göteborg-Special aus METAL HAMMER 12/2014
Göteborg-Special aus METAL HAMMER 12/2014

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Göteborg per pedes

Am nächsten Morgen warten ein leckeres Frühstück, und kurze Zeit später Tomas „Tompa“ Lindberg sowie Anders Björler von At The Gates im Foyer des Hotels, um die kleine Reisegruppe willkommen zu heißen. Mit dabei sind Reiseorganisatorin Nasrin Vahdani von Century Media sowie die Reporter kollegin Barbara Francone aus Italien, die gleich noch ihren Freund als Fotografen mitgebracht hat, der übrigens bei den Brutalo-Deathern Bastard Saints singt. Über altes Kopfsteinpfl aster geht es an einer Kirche vorbei in die von Wasserwällen geschützten Einkaufsstraßen der Südstadt, wo wir auf einen Science-Fiction-Buchhandel treffen, in dessen Kellergeschoss während der guten alten Zeit eine Bar war, in der Konzerte stattfanden. Ein paar Meter weiter stoßen wir auf die In Flames-Bar 2112, wo zahlungskräftigem Altstadtpublikum Burger und Bier serviert werden. Daneben befindet sich das im Zwanziger-Chic eingerichtete Puta Madre, wo früher ebenfalls Konzerte stattfanden.

„Der schwedische Staat hat den Jugendlichen Geld gegeben, wenn sie Musik gemacht haben. Eigentlich wollten sie uns nur von der Straße runter haben“, liefert Tomas Lindberg die Erklärung für die Vielzahl an talentierten Musikern und Bands in seinem Land. So wurde eben geprobt und es wurden Konzerte veranstaltet. Das nötige Kleingeld für Saiten und Kopierer hatte man dank staatlicher Förderung schließlich an der Hand. „Auf meinem ersten Flyer stand die Telefonnummer meiner Eltern, und mein Kinderzimmer war das Produktionsbüro“, grinst Tomas, während uns Anders Björler zum Sticky Fingers führt – ein neuerer Laden mit dem äußeren Charme einer Sporthalle, in dem aber schon In Flames, The Haunted, Motörhead, Hammerfall, Volbeat und zig andere gespielt haben. Ein paar Meter weiter fi nden wir das MUG: Ein Instrumentenladen, der gleichfalls als Szenetreffpunkt galt. „Lass uns lieber weitergehen, sonst kommen wir hier nicht mehr weg“, schiebt uns Anders, der abseits seines Lebens als Musiker auch in der professionellen Videobearbeitung tätig ist, pflichtbewusst voran, bis wir beim vegetarischen Restaurant Solrosen ankommen.

Göteborg-Special aus METAL HAMMER 12/2014
Göteborg-Special aus METAL HAMMER 12/2014

Tompas Miene hellt sich auf: „In diesem Laden waren wir schon als Jugendliche, das ist das Bohème-Viertel von Göteborg. Wir passten zwar nicht so recht in den Laden, aber da wir auch irgendwie anders waren, wurden wir von den Älteren geduldet.“ Ebenso wie im Tai Shanghai an der Haga Östergata oder dem Indien House – wer Essen verkaufte, durfte auch Alkohol anbieten. „Hier waren wir anfangs immer mit Alf, die übliche Bestellung lautete: Eine Frühlingsrolle und fünf Bier!“ Ein Prosit dem, der schon mit 15 einen stattlichen Bartwuchs vorweisen konnte und nicht auf altdeutsche Tricks wie das Präparieren des Personalausweises mit Zollbanderolen von Zigarettenschachteln zurückgreifen musste. Der erwähnte Alf ist übrigens Tomas’ damals schon älterer Kumpel Alf Svensson, mit dem er bereits bei Grotesque spielte, bevor man sich auf At The Gates konzentrierte. Alf fand nebenbei seine Passion als Tätowierer und benutzte seine Band-Kumpels gerne als Übungsobjekte.

Hisingen Blues

Göteborg hat heute auch mit den großstadttypischen Problemen der Gentrifi zierung und Hipster-Kolonien zu kämpfen. Ein freundlicher Hipster lässt uns in den Innenhof eines Gebäudekomplexes. Hier wird saniert und für harte Kronen vermietet, während Anders erklärt, dass in der ersten Etage einst das erste At The Gates-Konzert in der Heimat aufgeführt wurde. Death Metal war noch totaler Underground und Lindberg erklärt, dass Göteborg in den ersten Jahren immer im Schatten von Stockholm stand, wo sich schon frühzeitig eine Szene für extremen Metal bildete. Es zieht uns weiter in Richtung Wasser, eine große Brücke führt nach Hisingen, der von Graveyard besungenen viertgrößten Insel Schwedens, die teilweise zu Göteborg gehört.

Göteborg-Special aus METAL HAMMER 12/2014
Göteborg-Special aus METAL HAMMER 12/2014

„Graveyard sind cool, aber sie sind auch nur Zugezogene“, grinst Tompa, einst an der Entstehung des Darkthrone-Logos beteiligt, über den Blues der Kollegen. Als nächste Station steht das Kulturzentrum Röda Sten auf dem Plan, wo ein Erfrischungsgetränk goutiert wird (zum Beispiel Geggan- Bier mit Overkill- Optik), während eine Horde Kinder ein paar Räume weiter einen Kunst-Workshop besucht. At The Gates haben früher hier geprobt, als es noch eine vergammelte Industriehalle war. Vor allem aber waren sie, wie vom Staat geplant, von der Straße beziehungsweise vom Friedhof runter, wo es die Jugendlichen mit ihren Ghettoblastern schon mal hin verschlagen konnte.

Lärmender Lehrer

Mit Kindern kennt sich Lindberg ohnehin bestens aus, hat er doch selbst welche. Seine Älteste hat gerade Stress mit ihrem Freund, und das Pferd seiner Frau ist erkrankt. So muss der Familienvater per Whatsapp mit Rat und Tat zur Seite stehen. Parallel meldet sich auch noch Kumpel Tony Jelencovich von Transport League. „Tony hat entweder gar keinen Bock auf Kommunikation, oder feuert wie ein Maschinengewehr“ – das Klischee des schweigsamen Nordländers weicht in Göteborg zusehends auf, was im Fall des At The Gates-Sängers nicht weiter verwundert, der als Lehrer für Sozialkunde arbeitet. Mittlerweile ist es ein offenes Geheimnis in der Stadt, dass der Lehrer Herr Lindberg Death Metal-Musiker ist, was zumindest für unbedarfte Eltern als Erklärung für seine Mähne und die tätowierten Arme herhalten mag.

Göteborg-Special aus METAL HAMMER 12/2014
Göteborg-Special aus METAL HAMMER 12/2014

Die Anlegestelle für Fähren weist Kiel als Zielort aus. „Mit dieser Fähre sind wir zum Wacken gefahren“, erwähnt Lindberg den Umstand, dass At The Gates dort AT WAR WITH REALITY zum ersten Mal den versammelten Journalisten vorgestellt haben und dabei trotz aller Routine unglaublich nervös waren. In einem hässlichen Betonklotz eine Ecke weiter befand sich einst der heilige Gral der Neunziger: Dort war früher Nordströms Studio Fredman beheimatet, Lindberg zeigt auf eine kleine Dachterrasse, die für Zigaretten- und Bierpausen genutzt wurde. Hier entstanden Göteborger Klassiker wie SLAUGHTER OF THE SOUL von At The Gates oder die Frühwerke von In Flames und Dark Tranquillity. Mit der häufi g im Göteborger Stadtbild anzutreffenden Old School-Straßenbahn fahren wir zurück in die Stadt, am Schifffahrtsmuseum vorbei und bis zum Musikens Hus, wo heute abend The Haunted auftreten sollen. Dort trudelt nach und nach die Band ein. Schlagzeuger Adrian Erlandsson hat seine als Model und Domina arbeitende Frau Amber dabei, und der zur Band zurückgekehrte Marco Aro zeigt seine neue Handtätowierung, die innerhalb von nur einer Stunde gestochen wurde.

Mikael Stanne von Dark Tranquillity gesellt sich zu uns. Die ebenfalls eingeladenen Arch Enemy müssen jedoch passen, weil sie auf dem Sprung zu einer elfwöchigen Tournee sind. Wir verziehen uns in eine nahe gelegene Bierkneipe, wo es leckere Burger und Göteborgs größte Auswahl an Bieren aus Micro-Brauereien gibt. Herr Stanne weiß nicht nur Amüsantes aus der Frühzeit von Septic Broiler, In Flames und Hammerfall zu berichten (bereits Fredrik Nordström wies darauf hin, dass niemand Metal so ernst nimmt wie Oscar Dronjak, der ihm keine metallverzierte Custom-Kutte bauen wollte, weil sich Fredrik einst zu sehr über Oscars Outfi ts lustig machte), sondern sinniert hingebungsvoll über traditionelle Braukunst und IPA-Biere. Tomas Lindberg hält derweil zum ersten Mal die unterschiedlichen Editionen von AT WAR WITH REALITY in den Händen und ist vor allem von der Artbook-Ausgabe mit drei CDs und den Illustrationen von Costin Chioreanu begeistert. Mit Recht, das Teil ist samt Patch ein echtes Sammler- und Liebhaberstück. (…)

Thomas Strater


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Quelle: METAL HAMMER.de