Kritik zu Insomnium ANNO 1696
Hätten es Insomnium darauf angelegt, hätten sie längst die finnische Antwort auf In Flames und Dark Tranquillity werden können; ‘Ephemeral’ von SHADOWS OF THE DYING SUN (2014) überstrahlt noch immer vieles. Doch das wäre ihnen ein zu simpler Streich gewesen: Mit dem Ein-Song-Monster WINTER’S GATE (2016) betonten sie ihre künstlerische, sperrige Seite. Nach dem wieder zugänglicheren HEART LIKE A GRAVE (2019) macht es sich ANNO 1696 jetzt zwischen den Stühlen bequem: Für sich stehende, atmosphärisch und dramaturgisch fesselnde Stücke erzählen eine übergreifende Geschichte, die den höherwertigen Albumeditionen zudem beiliegt. Darin lädt Autor, Sänger und Bassist Niilo Sevänen ins titelgebende Jahr 1696, in dem es in Finnland finster zuging: Hexenjagden, Paranoia, Blutdurst und Werwölfe bilden den Rahmen der düsteren Erzählung.
Das neunte Insomnium-Studioalbum verpackt die Handlung wiederum musikalisch. Metal zum tief Eintauchen also, den die 1997 gegründete Band mit von ihr gewohnter Stärke und Kunstfertigkeit umsetzt: Das Quintett garantiert über acht Tracks hinweg anhaltende Gänsehaut und geballte Fäuste durch Melodic Death Metal mit schwarzen Akzenten (‘White Christ’ mit Rotting Christs Sakis Tolis als Gastsänger), balladesk-folkigen Auswüchsen (‘The Unrest’ in schlanken drei Minuten) oder sphärischem und epochalem Dreh (‘Godforsaken’ in ausladenden acht Minuten zwischen bezirzendem Sirenengesang und gewaltigem Grollen). Bezaubernde Melodien wie in ‘Lilian’ – vielleicht der geistige Nachfolger zum eingangs erwähnten Über-Hit – setzen nur wenige Bands mit derartiger Treffsicherheit um.
Was einer noch höheren Punktzahl (und womöglich größeren Platzierungen auf den Festivals dieser Welt) im Weg steht, sind die sperrigen Elemente und Strukturen – auf das simple Muster aus Strophe-Refrain-Strophe setzen Markus Vanhala, Ville Friman, Jani Liimatainen (alle drei: Gitarre), Markus Hirvonen (Schlagzeug) und Niilo Sevänen kaum, sondern entführen zumeist anhand kalter und heißer Melodien und machtvoller Riffs tief in oft verschachtelte Kleinode voller Hochs und Tiefs; speziell das macht einen guten Teil des Kunstverständnisses und der Faszination von Insomnium aus. Nach SHADOWS OF THE DYING SUN war es an der Zeit für einen weiteren Sieg im METAL HAMMER-Soundcheck.
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Quelle: METAL HAMMER.de