Tod von Ace Frehley (Ex-Kiss): Das letzte Interview
Während für Kiss als Liveband unlängst der letzte Vorhang fiel und die New Yorker Schminkmonster ihre Albumkarriere schon seit Jahren ad acta gelegt haben, gibt sich ihr ehemaliger Gitarrist agil und höchst produktiv: Mit 10,000 VOLTS zündet „Space Ace“ Frehley ein elektrisierendes Soloalbumfeuerwerk, welches durchaus an die bis heute unbestrittene Qualität seines ersten Alleingangs anzuknüpfen vermag.
Das Interview mit Ace Frehley erschien ursprünglich in METAL HAMMER-Märzausgabe 2024, erhältlich indem ihr das Heft bequem nach Hause bestellt. Anlässlich des Todes von Ace Frehley am 16.10.2025 veröffentlichen wir es hier in voller Länge.
Es kommt im Video-Interview-Alltag nicht oft vor, dass man eine Schalte ins All hat. Zumindest wirkt der Blick, den die Computer-Kamera auf Frehleys blinkende und in blaues Licht gehüllte Kommandozentrale freigibt, als würde man direkt in das Cockpit eines Weltraumkreuzers schauen. Absolut standesgemäß für jemanden, der bekanntlich vom Planeten Jendell stammt. „Wir haben hier keine Probleme“, grinst der Gitarrist gut gelaunt. „Kriege gibt es hier keine. Das haben wir hinter uns gelassen.“ In Wirklichkeit sitzt der 72-Jährige natürlich am massiven Pult seines Kellerheimstudios, welches Ace – so spacig wie eben möglich – höchstpersönlich entworfen hat. „Das ist ein super Arbeitsplatz. Alles ist schallisoliert; und es gibt zwei Nebenzimmer zum Aufnehmen, darunter auch ein Schlagzeugraum“, sagt Ace mit charakteristisch schnarrender Sprechstimme.
Ace In The Hole
„Als ich das Haus hier gekauft habe, war der Keller komplett karg. Jason, der Ex-Mann meiner ehemaligen Frau, ist Bauunternehmer und bot an, mir ein Studio zu bauen. Allerdings benötigte er dafür Baupläne. Ich entgegnete, dass ich alles im Kopf habe, aber er bestand auf Plänen. Also habe ich Leute angeheuert, die alles genau so gebaut haben, wie ich es ihnen aufgetragen hatte. Letztlich hat alles super funktioniert. Jason hätte es mit seinen Bauplänen vermutlich in der Hälfte der Zeit geschafft. Aber so ist es nun eben ganz und gar mein Baby“, zeigt sich Frehley zufrieden.
In Sachen heimischer Mischpultmaterie ist der singende Gitarrist durchaus bewandert, schließlich hatte er sich schon Ende der Siebziger im Untergeschoss seiner einstigen Residenz in Wilton/Connecticut vom Akustiker und Architekten der legendären New Yorker Electric Lady Studios, John Storyk, das berüchtigte „Ace In The Hole“-Heimstudio zimmern lassen. „Das Gros des Albums ist hier entstanden. Der Rest kam in Steve Browns Kellerstudio zustande. Es ist nicht ganz so ausgebaut wie meines, aber auch ein sehr gemütlicher Ort“, verrät Frehley über die Werkstätte seines Co-Produzenten und Songwriting-Partners für 10,000 VOLTS.
Glam Metal-Enthusiasten dürfte jener Name durchaus noch ein Begriff sein, ist hier doch vom Gründer und Lead-Gitarristen der Band Trixter die Rede. Die aus New Jersey stammende Truppe hatte Anfang der Neunziger zumindest in den Staaten mit ‘Give It To Me Good’ einen großen Hit gelandet. „Meine jetzige Verlobte Lara kannte Steve. In ihren Zwanzigern war sie Trixter-Fan und hatte sich mit der Band angefreundet – ich hoffe zumindest, es war nicht mehr als das! Jedenfalls saß ich schon eine Weile an meinem neuen Album, als sie vorschlug, ich sollte mich mal mit Steve Brown treffen.
Er ist ein vortrefflicher Songwriter, Sänger und Gitarrist“, sagt Ace, und fährt fort: „Er hat mir auch eine Stange Geld gespart, weil er seit 30 Jahren Tontechniker und Pro-Tools-Profi ist. Wir waren also das perfekte Paar.“ Wohl eher die perfekte musikalische Ménage-à-trois, denn der Vollständigkeit halber erwähnt Ace im Nachsatz, dass Steves Vorschlag, Danger Danger-Mastermind und -Bassist Bruno Ravel für den Mix und das Mastering an Bord zu holen, eine weitere goldrichtige Entscheidung war. „Es sollte nicht wie meine vorherigen Platten klingen, der Mix sollte etwas zeitgenössischer rüberkommen. Jeder, auch wenn er nur die erste Single gehört hat, war bislang begeistert von der Produktion und der Abmischung.“
Telepathische Impulsivität
10,000 VOLTS erfüllt also nicht nur höchste klangliche Anforderungen, sondern besticht auch mit durchgehend gutem Song-Material sowie der Rückkehr eines alten Bekannten. „Ich finde, meine ’78er-Soloplatte kann sich heute noch hören lassen. Anton Fig (Schlagzeuger – Anm.d.A.) und ich haben damals fast die ganze Platte gemacht, es gab nur ein paar Songs mit einem externen Bassisten. Ansonsten habe ich auch noch den Bass bedient“, so Ace rückblickend. „Anton spielt jetzt bei drei Songs des neuen Albums. Er wohnt mittlerweile nur 45 Minuten von mir entfernt. Wir werden zukünftig also wohl wieder mehr zusammen machen“, so Ace.
Dabei ist für den Saitenfachmann eine Sache sowohl beim Song-Schreiben als auch der Arbeit im Studio entscheidend: Spontaneität. Ein Faktor, dessen Fehlen Frehley während der früheren Sisyphus-Studioarbeiten mit Kiss und oftmals unzähligen Take-Wiederholungen ziemlich auf den Senkel gegangen ist, wie er nebenbei verrät. „Ich arbeite meine Soli nie aus, sondern spiele einfach, lasse meinem Kopf beim Entleeren freien Lauf, und das ist es. Ich mache das jetzt schon seit 50 Jahren, und da geschehen die Dinge einfach auf natürliche Weise, ohne dass ich groß darüber grübeln müsste“, tut Frehley kund.
„Bei den Texten läuft das genauso. Das meiste schreibe ich in 45 Minuten. Es ist fast so, als würde mir jemand die Sachen ins Hirn beamen. Leute, die glauben, dass ich tagelang über meinen Texten brüte oder eine versteckte Botschaft in ihnen steckt, liegen komplett falsch. Mein Rezept ist es, beim Thema das Songs zu bleiben und auf die Reime zu achten. Ich mag rockige und heftige Sachen, die beim Spielen einfach Spaß machen“, erzählt Ace. Was nicht heißen soll, dass er thematisch keine aktuell heißen Eisen anpacken würde. Ein Song wie ‘Blinded’ etwa beschäftigt sich mit den Gefahren von KI.
„Der Kram ist beängstigend.“
„Die Welt läuft mithilfe von Computern – und nun auch Künstlicher Intelligenz. Schau dir die ‘Terminator’-Filme an, der Kram ist beängstigend. Wenn das alles nicht kontrolliert oder reguliert wird, dann können uns Computer bald ins Aus bugsieren. Mich persönlich beunruhigt das allerdings nicht. Ich lebe von einem Tag auf den anderen.“ Was Ace nicht davon abhält, bei der Materialsuche in seiner eigenen Vergangenheit zu wühlen. So hat er – auch aufgrund Browns Begeisterung für den bis dato unfertigen Song – die 40 Jahre alte Nummer ‘Back Into My Arms Again’ nun endlich finalisiert. Aber auch mit fremden Federn schmückt sich Frehley, der sich einst Russ Ballards ‘New York Groove’ für immer zu eigen gemacht hat, weiterhin gerne. Sogar, wenn sie aus stilistisch ganz anderer Ecke kommen, wie ‘Life Of A Stranger’.
„Ich hörte das Lied im Abspann des ersten ‘Transporter’-Films und habe es seitdem nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Ich habe es dann Steve vorgestellt, und er war der Meinung, dass wir das Ding richtig herausputzen können. Das Original ist recht elektronisch und spärlich angelegt. Meine Version hat nun Keyboards, Gitarren und haufenweise Harmonien“, freut sich Ace, und fast noch mehr über die Anmerkung, dass er mit der Nummer durchaus James Bond-Song-Qualitäten beweist. „Ich bin absoluter Bond-Fanatiker. Für die Reihe mal einen Eröffnungstitel zu machen, wäre umwerfend und steht auf jeden Fall auf meiner Wunschliste weit oben“, so der Gitarrist, der im Rahmen seiner jüngeren Soloplattenveröffentlichungen auch die reine Cover-Albumreihe ORIGINS ins Leben gerufen hatte, von der es bislang zwei Teile gibt. Fortsetzung folgt?
Etliche Overdubs
„Eigentlich sollte mein nächstes Album der dritte ORIGINS-Teil werden. Doch die Plattenfirma wollte lieber ein Live-Album. Das Feedback der Fans war aber ein anderes. Der Tenor war, dass heute sowieso jeder die Show mit seinem iPhone mitschneidet, woraufhin die Plattenfirma meinte, man könne für ein Live-Album dann doch alles im Studio aufhübschen. Nur sind solche Tricks heutzutage eben sehr einfach aufzudecken. Außerdem haben wir das damals schon mit ALIVE! so gemacht, da gab es etliche Overdubs. Das Album hat Kiss damals groß gemacht. Es kommen heute noch Leute zu mir, die sagen, dass sie wegen meiner Soli darauf mit dem Gitarrespielen angefangen haben“, sagt Ace hörbar stolz über seinen Beitrag zu Kiss’ 1975er-Durchbruchsscheibe.
Bezüglich der Tatsache, dass weder er noch andere Ehemalige Teil des am 02.12.2023 im New Yorker Madison Square Garden über die Bühne gegangenen Kiss-Abschiedskonzerts waren, hegt der Gitarrist gemischte Gefühle. „Vor sechs, sieben Monaten posaunten Paul und Gene noch, dass sie mich und Peter (Criss, ehemaliger Schlagzeuger und Gründungsmitglied – Anm.d.A.) auf die Bühne holen wollen. Sie haben unsere Namen benutzt, um Tickets zu verkaufen. Dann fingen sie plötzlich einen Monat vor der Show an, uns niederzumachen. Paul Stanley sagte in der ‘The Howard Stern Show’, dass man, wenn Peter und ich mitmischen würden, die Band auch gleich ‚Piss‘ nennen könnte.
Passprobleme
Das hat wiederum mich wirklich angepisst. Also ging ich zu Eddie Trunk, und dieser Schlagabtausch begann. Letzten Endes ist es mir egal. Ich weiß nicht, ob es das Ende für sie sein wird oder eben nicht. Ich konzentriere mich lieber auf meine Sachen. Dennoch bleiben sie letztlich immer meine Rock’n’Roll-Brüder. Wir haben in den Siebzigern etwas an den Start gebracht, das nicht wiederholbar ist. Also wünsche ich Kiss das Beste. Außerdem bekomme ich auch immer noch Schecks von ihnen“, schließt Frehley das Kapitel Kiss für sich mit schelmischem Grinsen.
In die Karten der eigenen Konzertzukunft kann Ace uns derweil noch nicht allzu weit blicken lassen. Abgesehen vom Gig bei der ‘Monsters Of Rock’-Karibikkonzert-Cruise im März, dessen Gage der sich mittlerweile selbst managende Frehley hart verhandeln musste, steht bislang lediglich der Wunsch an, im Sommer nach langer Zeit mal wieder ein paar europäische Festivals spielen zu können. „Ich habe momentan Probleme, einen neuen Pass ausgestellt zu bekommen“, erklärt Ace. „Es steht und fällt also mit der US-Regierung. Vielleicht könnt ihr ein gutes Wort für mich einlegen“, so Ace süffisant. Außerirdische hatten es mit Einwohnermeldeämtern eben noch nie leicht…
Frank Thiessies
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Quelle: METAL HAMMER.de