Die Herzen der Menschen bewegen

Während viele Künstler die Übel dieser Zeit und die dunklen Themen in ihrer Musik zu Härte, Düsternis und Wut verarbeiten, setzen Skindred darauf, eine Auszeit zu liefern. Ragga-Metal trifft es grob, es ist ein Stilmix aus Reggae, Ragga, Dancehall, Rock, Pop, Punk und Metal, den die Band um Sänger Benji Webbe seit vielen Jahren zelebriert. Die kürzlich veröffentlichte Single ‘You Got This’ passt da bestens hinein – und liefert einen Vorgeschmack auf das gleichnamige neunte Studioalbum, das am 17. April 2026 erscheinen soll.
Die Platte folgt auf das 2023er Erfolgsalbum SMILE, mit dem Skindred Platz zwei der britischen Album-Charts erklommen. Erste Festivalshows für 2026 stehen, los geht es hoch zur See: Die Band wird auf der 2. Wildcat Tattoo Cruise unter anderem mit Knorkator und Madball auf Mallorca die Anker lichten (1. bis 6. Mai, Tattoo-Convention und Konzerte). Während der zurückliegenden Tournee traf METAL HAMMER Frontmann Benji Webbe zum Gespräch über seine Motive, das, was ihn treibt, und wie er das Leben sieht.
METAL HAMMER: Konzerte können im Positiven Alltagsfluchten sein, die Fans sehnen sie herbei. Was war für dich zuletzt so ein Anker?
Benji Webbe: Dass meine Frau heute Abend hierherkommt. Ich freue mich außerdem auf jedes einzelne Konzert. Wir Menschen brauchen einfach Dinge, auf die wir uns freuen können. Sei es ein kurzer Urlaub, ein Besuch bei einem Freund oder etwas anderes. Es können auch die kleinen Dinge sein, aber das ist meiner Meinung nach wichtig. Denn ohne Hoffnung, was haben wir dann noch? Etwas, auf das man sich freuen kann, treibt den Geist in die richtige Richtung.
MH: Besonders in schwierigen Zeiten, sei es persönlich oder global.
BW: Die Welt ist in einem verrückten Zustand, in einem sehr seltsamen Zustand. Gleichzeitig muss man wissen, was für einen selbst richtig ist und was für einen selbst funktioniert. Ich denke, Liebe zu teilen und für andere da zu sein, ist wichtiger, als Menschen von sich zu stoßen. Und egal, wie diese Menschen sind oder wie sie sich verhalten: Wir müssen Gemeinsamkeiten finden. Denn die Farbe deines Blutes ist rot. Und die Farbe meines Blutes ist rot, und unsere Scheiße stinkt. Das ist der gemeinsame Nenner. Das ist es, was uns alle hier hält.
„Deshalb werde ich weiterhin Lieder über Freiheit singen“
MH: Was kann Musik da ausrichten – was willst du selbst ausrichten? Zumal du einmal sagtest, Musik habe dich gerettet.
BW: Musik ist etwas, das mich durch mein Leben getragen und überhaupt so weit gebracht hat. Ich habe meine Eltern sehr früh verloren – ich war noch ein Kind –, also hatte ich die Musik. Es war meine Rettung, wenn ich eine Platte auflegte. Heute möchte ich den Menschen einfach eine Art Hoffnung geben. Wenn ich Texte schreibe, möchte ich, dass sie auch ohne die Musik jemanden ermutigen können. Das ist mir wichtig. Etwas zu sagen zu haben. Konzerte sind noch mal eine andere Nummer. Ich möchte die Menschen zusammenbringen, Gemeinsamkeiten finden, etwas, mit dem sie sich alle identifizieren können. Und ihnen eine gute Zeit bereiten, damit sie die Show mit einem Lächeln verlassen. Dann habe ich meinen Job gemacht, nämlich die Welt im Kleinen – diesen Raum – zusammenzubringen.
MH: Deine Texte zeugen von dem, was du gerade erzählst. Hat sich deine Herangehensweise dennoch mit den Jahren, mit dem Leben verändert?
BW: Als ich das erste Skindred-Album schrieb, ging es darum, die Menschen dazu aufzurufen, zusammenzukommen und als Einheit zu leben. 24 Jahre später befindet sich die Welt immer noch im gleichen Zustand. Deshalb werde ich weiterhin Lieder über Freiheit singen. Ich werde den Menschen weiterhin vorsingen, dass wir es schaffen können. Auch, wenn man uns sagt, dass wir das nicht können. Textlich hat sich nichts geändert. Ich werde immer dafür kämpfen, dass die Menschen zusammenkommen.
MH: Der gute Kampf.
BW: Ja, zumindest meine Vision eines guten Kampfes. Auf dem neuen Album sind zehn Songs, zehn Wahrheiten – meine Wahrheiten. Jeder einzelne sagt etwas aus. Nächstes Jahr werde ich 59, also habe ich eine Menge Scheiße erlebt, aber ich habe mich irgendwann dazu entschieden, das Blatt zu wenden. Jeder Song ist voller Leidenschaft und erzählt eine Geschichte über mein Leben, darüber, was ich durchgemacht habe – und vielleicht kann man sich damit identifizieren.
„Ich bin ein Optimist, sehe das, was Hoffnung gibt“
MH: Wie leicht fällt es dir, diese Texte zu schreiben – aufbauend, verbindend? Viele treibt die Welt um sie herum und die eigene Welt zu Schwermut, Dunkelheit, auch Wut.
BW: Ich bin ein Optimist. Wenn ich durch Gitterstäbe schaue, blicke ich zum Mond und zu den Sternen, sehe das, was Hoffnung gibt. Vielleicht, weil ich als Kind nichts hatte.
MH: Du erwähntest es bereits: Du bist als Waise aufgewachsen, warst elf, als deine Eltern starben. Wie hat das dich und deine Musik geprägt?
BW: Ich musste das Beste aus dem machen, was ich hatte. Und das Beste war die Tatsache, dass ich Menschen zum Lächeln und Lachen bringen konnte. Mit den Liedern, die aus meinem Mund kamen. Nicht unbedingt mit Gesang, sondern mit der Stimme generell, auch mit Albernheit, und ich liebte das. Ich dachte, das sei etwas Besonderes, eine Gabe. Schreiben in der Schule war nichts für mich, aber die anderen Kinder zum Lachen zu bringen, ihnen Spaß zu bereiten und ihnen eine gute Zeit zu verschaffen – das war immer meine Aufgabe. Ich brachte neue Lieder mit, zeigte den anderen diesen oder jenen Künstler, und sie waren begeistert. Ich bin in einer sehr gemischten Gegend aufgewachsen, es gab viele Weiße, Schwarze, Araber, Iren, Italiener, eine große Bandbreite – und das war gut so, weil wir alle irgendwie das Leben gefeiert haben, indem wir unsere Musik miteinander teilten.
Von Sleaford Mods bis Nat King Cole und Queen. Marvin Gaye und Johnny Rotten.
MH: Welche damals zum Beispiel?
BW: Als ich NEVER MIND THE BOLLOCKS von den Sex Pistols kaufte, hörte ich nur ‘God Save The Queen‘. Und als ich eine Platte von The Specials kaufte, hörte ich nur ‘A Message To You, Rudy‘. Für mich lag die Magie darin, Musik nicht zu kennen und sie dann zu entdecken. Sie baut auch auf.
MH: Und befreit in gewisser Weise?
BW: Ja, es ist Musik, die befreit. Mich jedenfalls. Ich liebe diese Texte, egal, ob sie von Marvin Gaye oder Johnny Rotten sind. Sie sagen den Menschen etwas. Steht auf, seid stark, seid selbstbewusst.
MH: Gibt es eine bestimmte Platte oder Künstler, der dies für dich am besten macht?
BW: Es gibt sehr viele. Von Sleaford Mods bis Nat King Cole. Ich bin ein gieriger Mensch, ich will alles. Ich liebe alles. Und irgendwie steckt ja in allem etwas.
MH: Verschiedene Lebensabschnitte oder verschiedene Ereignisse für verschiedene Songs.
BW: Und manches bemerkt man erst rückblickend. Denn Musik, die ich als Kind nicht mochte, wie New Romantic, höre ich mir heute an und merke, wie viel sie mir bedeutet. Wenn ich jetzt Human League höre, denke ich: „Wow!“ Musik ist so schön, weil sie einen in einem bestimmten Moment einfängt. Vielleicht hat mich New Romantic auch schon damals unbewusst beeinflusst, obwohl ich Punk und Reggae hörte, und diesem Musikstil gegenüber ignorant war. Ich liebe übrigens Queen – da gibt es Oper, Folk, Jazz, Disco. Sie sind einfach eine Rockband; es ist extrem, und ich mag, dass es extrem ist.
MH: Du sagtest: „Ich liebe alles.“ Die Basis für den Stilmix von Skindred?
BW: Das ist es, was meine Musik ausmacht, ja. Hip-Hop, Reggae, Punk Rock und mehr. All diese verschiedenen Elemente findet man im Skindred-Sound, weil ich mich nicht auf eine Richtung festlegen konnte. Ich sehe Skindred auch einfach als Rock-Band, wir schöpfen aus all diesen verschiedenen Energien. Der Klang der Musik und die Texte beflügeln mich einfach.
„Die Herzen der Menschen zu bewegen und sie dazu bringen, den Kampf durchzustehen“
MH: Der aktuelle Single- und Albumtitel YOU GOT THIS steht ziemlich exemplarisch für dieses Motivierende, das Stärkende. Keinen Satz hört man zum Beispiel öfter auf dem Weg zum Ziel eines Marathons oder Triathlon, die ja im Grunde auch als Metapher fürs Leben und Ereignisse darin stehen. „Ja, ich schaffe es bis zur Ziellinie.“
BW: Die Ziellinie! Ja, genau das ist es. Wir schaffen es bis zur Ziellinie. Egal, um was es geht. „You got this“ – ich finde, dieser Satz geht ins Herz. Du schaffst das. Als ich 2019 anfing, ins Fitnessstudio zu gehen, habe ich ihn immer wieder gehört. Ich war im Spinning-Kurs, war müde, und eine fremde Frau sagte: „Du schaffst das!“ Dieser kleine Satz hat mich dazu gebracht, bis zum Ende noch ein bisschen mehr zu geben. Und ich denke, wenn wir das mit unserer Musik schaffen, und mit einem Song-Namen wie ‘You Got This‘, wenn es irgendwie helfen kann, dann lohnt es sich. Besonders in der heutigen Zeit. Und auch, wenn die Leute nur ein Band-Plakat mit diesen Worten sehen. Du siehst das Bild von uns, weißt nicht einmal, wer wir sind, aber du siehst: Du hast es drauf!
MH: Wo wir wieder am Anfang unseres Gespräches wären: Hoffnung geben. Dein Motiv?
BW: Genau. Eine Art Hoffnung und Liebe geben. Einen kleinen Schub, wie manchem Läufer beim Marathon oder Triathlon. Übertragbar auf so vieles. Das ist meiner Meinung nach die Essenz von Skindread. Alles, was wir jemals schreiben, dreht sich darum, die Herzen der Menschen zu bewegen, sie dazu zu bringen, den Kampf noch einmal durchzustehen. Und ich finde, deshalb ist YOU GOT THIS der perfekte Name für das Album.
„Die Platte kommt an zweiter Stelle – Performance ist für mich alles“
MH: Gab es eine bestimmte Begebenheit, die dich dazu veranlasst hat, diese drei Worte zu nehmen?
BW: Ich habe einen Mann im Fitnessstudio gesehen, der sich abmühte und vor kurzem einen Schlaganfall hatte. Der Trainer sagte dann jene drei Worte. Und es war schwer für den Mann, aber er hat es versucht – und geschafft. Das hat mich berührt und ist etwas, das es wert ist, bewahrt zu werden. Und wenn wir den Menschen Hoffnung, eine Art Liebe und Ermutigung geben können, indem wir sagen „Du schaffst das“, bin ich glücklich. Es ist eine schwierige Zeit, die Welt befindet sich in einer kritischen Lage, diese Dinge beherrschen uns. Also dachte ich, dass dies der perfekte Name für das neunte Studioalbum ist. Aber: Die Platte kommt an zweiter Stelle – Performance ist für mich alles. Das hat mehrere Gründe.
MH: Weil es die Menschen ganz real zusammenbringt? Jeder hat seine Kämpfe. Bei Konzerten kommen sie alle zusammen. Es ist wie in einer Blase.
BW: Ich sage bei den Shows zu den Menschen: ‚Neben dir steht jemand mit Problemen, du bist nicht allein mit dem Schmerz, den du heute erlebst. Du bist nicht allein, jeder macht das durch. Wir haben Krebs in diesem Raum, wir haben Missbrauch, wir haben Drogenmissbrauch, wir sind alle gleich, wir haben alle die gleichen Schmerzen. Aber ich sage dir, nutze die Kraft, jeder hat sie, du hast sie auch.‘ Ich beobachte Menschen jeden Abend, Nacht für Nacht. Ich muss ihnen irgendwie den Schmerz zeigen, dass wir alle, egal welche Hautfarbe, welcher Glauben, welches Geschlecht wir haben, im selben verdammten Scheißboot sitzen. Es hat also keinen Sinn, andere über Bord zu werfen. Besser wir rudern gemeinsam in die gleiche Richtung.
„Es ist traurig, das zu sagen, aber niemandem ist das Morgen versprochen“
MH: Was ist mit dieser Energie, die live einfach unmittelbarer rüberkommt?
BW: Ein weiterer Grund, warum für mich Liveshow das Wichtigste sind. Dort kann ich meine Leidenschaft wirklich zeigen. Auf einer Platte hört man den Song und denkt: ‚Oh, das klingt toll, ich mag den Beat.‘ Aber live sieht man mein Gesicht, hört mich live, sieht meine Band-Kollegen. Wenn wir live spielen, ist es eine Reise. Und ihr seht mich nicht nur auf der Bühne – ihr seid Teil davon, mittendrin. Es ist traurig, das zu sagen, aber niemandem ist das Morgen versprochen. Wir haben nur den Moment, in dem wir uns gerade befinden. Also denkt nicht: „Wenn ich sie das nächste Mal sehe, werde ich mich amüsieren.“ Scheiß drauf, amüsiert euch heute Abend!
MH: Das Publikum verlässt die Konzerte mit einem Lächeln. Wie sieht es mit dir aus? Euphorisch? Auch mal leer?
BW: Ich lebe von dem Lächeln, das ich in der Menge sehe. Und ich trage das in meinem Herzen weiter. Man kann es nicht in Flaschen abfüllen, man kann es nicht injizieren, man kann es nicht rauchen – man kann es nur erleben und spüren. Und meistens fühle ich das. Das ist es auch, wonach ich mich sehne, was ich liebe. Wir haben gemeinsam Spaß, und das gibt mir eine Menge zurück. Ich singe jeden Abend aus vollem Herzen, denn das ist alles, was ich habe. Die Leidenschaft, diese Songs auf authentische Weise zu performen, ist wichtiger als alles andere.
„Ich stellte mich vor den Spiegel und sang. Nur mein Spiegelbild und ich“
MH: Aber brennt man da nicht auch mal aus?
BW: Als ich ein kleiner Junge war, holte ich mir die Haarbürste meiner Schwester, stellte mich vor den Spiegel und sang. Nur mein Spiegelbild und ich. Wenn es so ist, dass es Energie zieht, erinnere ich mich daran, warum ich angefangen habe. Ich habe es für mich getan, vor dem Spiegel. Nur ich und die Bürste meiner Schwester, und ich sang: „What’s love got to do, got to do with it“. Der kleine sechsjährige Benji. Was mich motiviert, ist, dass es mir Spaß macht. Ich habe die beste Zeit und bin glücklich, dass ich das habe. Ich muss keine Stadien füllen – wenn es 1200 Leute Nacht für Nacht genießen, ist das ein Segen. Aber das kann man nicht erreichen, wenn man nicht dranbleibt. Man muss hart sein, es ist wie Boxen, man bekommt ständig eins auf die Mütze.
MH: Was meinst du genau? Und wen?
BW: Nicht auf der Bühne, sondern das Business. Das ist das Schwierige daran. Das Reisen zehrt auch an dir. Wenn du nicht auf dich achtest, wirst du fertiggemacht, dein Körper bekommt die Schläge ab. Das kannst du nur eine gewisse Zeit lang machen. Deshalb achte ich mittlerweile darauf, dass ich währenddessen gut auf mich aufpasse. Ich wähle einen Abend in der Woche aus, an dem ich etwas trinke, und an den anderen Abenden gehe ich früh ins Bett. Und ich treibe Sport.
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Quelle: METAL HAMMER.de













